Stellungnahme dgkjf Das neue Psychotherapeutenausbildungsgesetz ist der größte Gesundheits‐Skandal

Stellungnahme dgkjf: Das neue Psychotherapeutenausbildungsgesetz ist der größte Gesundheits-Skandal der letzten 10 Jahre

Der Arbeitsentwurf zum Gesetz zur Reform der Psychotherapeutenausbildung wurde am 25.7.2017 vom Bundesgesundheitsministerium bekannt gegeben. Dieses Gesetz wird der Gesellschaft jährlich mehr als 500 Millionen Euro kosten und zugleich die gegenwärtige Versorgungsqualität psychisch kranker Menschen halbieren und damit den Patientenschutz unverantwortlich beschädigen. Lohnt es sich für die Zerstörung eines beispielhaften Versorgungssystems so viel Geld auszugeben?

Am 1. Januar 1999 war nach jahrzehntelangem Kämpfen der Psychotherapeutenschaft das Psychotherapeutengesetz in Kraft getreten. Es bescherte insbesondere psychisch kranken Kindern und Jugendlichen erstmals in unserer Geschichte den hoch qualifizierten Beruf des Kinder und Jugendlichenpsychotherapeuten. Bis dahin war die Kinderpsychotherapie ein missachtetes Stiefkind des Gesundheitssystems. Die Kindertherapeuten benötigten kein Abitur, sie wurden noch lange Psychagogen genannt. Und die Psychologen schauten auf sie herab. Auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes hatten sie keine Lust, diesen Beruf auszuüben. So kam es, dass heute 80 % der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen von Sozialpädagogen und Pädagogen geleistet wird, die durch das Gesetz künftig ausgesperrt werden.

Seit 1999 erblühte die Kinder‐ und Jugendlichenpsychotherapie. Man konnte es an kürzeren Wartezeiten, vermehrten wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Forschungen erkennen. Die Kinderpsychiater lernten sie schätzen und ihr Verband, der DGKJP (Deutsche Gesellschaft für Kinder‐ und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie) hält das jetzt kommende Gesetz, das diesen segensreichen Beruf wieder abschafft, für einen Skandal.

In der Verhaltenstherapie hatte man zuvor gemeint, mit einem 50‐stündigen Abendkurs die Behandlung von Kindern zu erlernen. Jetzt war es eine so umfassende und spezialisierte Ausbildung geworden, die gleichberechtigt neben der Erwachsenentherapie‐Ausbildung (Psychologischer Psychotherapeut) stand. Und sie brachte erstmals in der Geschichte eine nahezu ausreichende Zahl hoch qualifizierter Kinder‐ und Jugendlichenpsychotherapeuten hervor. Damit war ein nicht hoch genug einzuschätzender Qualitätssprung in der psychotherapeutischen Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher erfolgt.

Nun sieht der Gesetzentwurf die Abschaffung dieses so wichtigen und unverzichtbaren Berufs vor: Es findet keine spezialisierte Ausbildung in diesem Bereich mehr statt, nur noch eine über alle Altersgruppen hinweg geltendes Psychotherapie‐Studium, indem nur noch ein kleiner Teil der Lehrveranstaltungen speziell für die Kinder‐ und Jugendlichenpsychotherapie vorgesehen ist. Erst nach diesem soll in stationären und ambulanten Einrichtungen nach dem ärztlichen Prinzip des „learning by doing“ abgeschaut werden, wie man Therapie macht. Dieses Prinzip hat in der Medizin nie eine ausreichende psychotherapeutische Qualifikation gewährleistet – weil die Facharzt‐Weiterbildung kostenlos sein sollte. Kostbares gibt es aber nicht kostenlos. Assistenzärzte oder ihre Kliniken müssten selbst die Kosten für die psychotherapeutische Weiterbildung in einem ärztlichen Weiterbildungsinstitut auf sich nehmen, wenn sie wirklich gute Psychotherapie lernen wollen bzw. sollen – berufsbegleitend parallel zu ihrer medizinischen Facharzt‐Weiterbildung. Wir drehen das Rad der Geschichte also vehement zurück und das ist der Tod dieses Berufs. Deshalb darf zurecht der Begriff Gesundheits‐Skandal verwendet werden.

Was fast so erschütternd ist: Die Universitätspsychologie hat sich noch nie in auch nur ausreichendem Ausmaß um die Kinder‐ und Jugendlichenpsychotherapie gekümmert. Es gibt kaum Professoren, die Kinder‐ und Jugendlichenpsychotherapie gelernt und beforscht haben. Wer tiefenpsychologische Kinder‐ und Jugendlichenpsychotherapie lehrt, kann also nur Angelesenes verkünden und hat diese Behandlung selbst nie ausgeübt. Aber auch für die Verhaltenstherapie gilt: Universitätsprofessoren sind Forscher und Lehrer. Sie sind höchstens „Nebenerwerbs Psychotherapeuten“, behandeln also höchstens ein Zehntel so viel Patienten wie niedergelassene Psychotherapeuten. Wenn letzteren nach zehn Jahren die Befugnis als Supervisor und Lehrtherapeut zugesprochen wird, so benötigen erstere dafür 50 Jahre! D. h. sie dürften nie Lehrtherapeut werden.

Man muss eindeutig feststellen, dass – mit dem Maßstab des Psychotherapeutengesetzes von 1999 gemessen – dieses Psychotherapie‐Studium zwar ein schönes Studium ist, aber auf keinen Fall eine Psychotherapie‐Ausbildung. Es kann höchstens dazu dienen, den Zugang zu der bisherigen postgraduierten Psychotherapeutenausbildung zu ermöglichen. Und hier kommt der zweite Aspekt dieses Gesundheitsskandals: Das BMG will den nicht Ausgebildeten und therapeutisch in keiner Weise befähigten Absolventen dieses Studiums durch eine Approbation die Erlaubnis zur selbstständigen Ausübung von Heilkunde im Sinne einer psychotherapeutischen Behandlung von Menschen jeder Altersgruppe geben. Niemand kümmert es, wer da auf psychisch kranke Kinder und Jugendliche losgelassen wird.

Die Enteignung der Psychotherapie besteht darin, dass den durch das vom BMG in Auftrag gegebene wissenschaftliche Gutachten bestätigten Lehreinrichtungen die Psychotherapeutenausbildung weggenommen und der Universitätspsychologie gegeben wird, obwohl diese dazu überhaupt nicht geeignet ist. Sie kann Psychotherapie‐Wissenschaft vermitteln, aber keine Psychotherapie als Heilberuf. Deshalb ist die Vergabe einer Approbation nach Studienabschluss ein Gesundheits‐Skandal. Und zugleich eine Verschwendung von Geldern, die überhaupt noch nicht verfügbar sind. Kurzgefasst ‐ 10 Gründe, weshalb das Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz (Reform des Psychotherapeutengesetzes) die Zukunft der Psychotherapie zerstört

1. Psychotherapie kann nicht zur puren positivistischen Natur‐Wissenschaft demontiert werden.
2. Psychotherapie lässt sich nicht wie Medizin in einem grundständigen Studium lehren.
3. Psychotherapie kann noch nicht von 18‐jährigen Abiturienten gelernt werden.
4. Psychotherapie ist sehr verschieden von Medizin und benötigt ein vorausgehendes akademisches Studium an einer Hochschule ‐ daher ist eine postgraduierte Ausbildung erforderlich.
5. Psychotherapie kann nicht an einer Hochschule gelernt werden, sondern dort wo Psychotherapie gemacht wird.
6. Psychotherapie muss von erfahrenen Psychotherapeuten gelehrt werden, nicht von hauptberuflichen Wissenschaftlern. Und ein Universitätsstudium muss zu einem hohen Prozentsatz von hauptamtlichem Lehrpersonal bestritten werden. Psychologische Universitätsprofessoren können nur Psychotherapie‐Wissenschaft lehren, aber nicht Psychotherapie als Heilberuf.
7. Kinder‐ und Jugendlichenpsychotherapie ist kein Teilgebiet der Psychologie.
8. Kinder‐ und Jugendlichenpsychotherapie entspringt ebenso der Pädagogik, Sozialpädagogik und Medizin.
9. Der Beruf der Kinder‐ und JugendlichenpsychotherapeutIn mit eigener Approbation hat einen sehr großen Qualitätssprung in der Patientenversorgung gebracht und darf deshalb nicht abgeschafft werden.
10. Pflicht‐Weiterbildung in der Klinik nach der Ausbildung ist eine zugleich familienunfreundliche, unqualifizierte und unnötige Aufblähung des psychotherapeutischen Bildungswegs, die einen Flaschenhals erzeugt, durch den nur noch 10 bis 20 % ihr Berufsziel erreichen können. Zugleich werden die psychotherapeutischen Behandlungen vom ambulanten in den stationären Bereich verlagert, wo sie nur im Not‐ und Krisenfall hingehören. In Kliniken
kann keine Psychotherapie gelernt werden. Denn diese braucht Zeit für Entwicklung auf der Basis einer therapeutisch hochwirksamen Patient‐Therapeut‐Beziehung. Deshalb ist dieses universitäre Studium der Psychotherapie als Psychotherapeutenausbildung abzulehnen und stattdessen eine duale Ausbildung (zuerst ein Hochschulstudium und dann die postgraduierte Psychotherapeutenausbildung) zu fordern. Wenn auch nur 5 % der veranschlagten 500 Millionen Euro dazu verwendet würden, sofort Psychotherapeuten im derzeitigen 18‐monatigen Praktikum finanziell ebenso hoch zu unterstützen wie Rechtsreferendare (1200 Euro mtl.), dann gäbe es so gut wie keinen Grund mehr für eine so große Reform, die einfach nur großen Flurschaden anrichtet.

Quellen:

Sulz S.: Duale Ausbildung für eine qualifizierte Zukunft der Psychotherapie – statt Direktstudium (BMG) mit großen Folgeschäden für psychisch kranke Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Psychotherapie 2017‐2, S. 194‐208. CIP‐Medien‐Verlag

Sulz S. (Hrsg.): Psychotherapie ist mehr als Wissenschaft. Ist hervorragendes Expertentum durch die Reform gefährdet? München: CIP‐Medien 2014 Sulz S. (Hrsg.): Von der Psychotherapie‐Wissenschaft zur Kunst der Psychotherapie. München: CIPMedien 2015

sowie: http://dgkjf.de/ausbildungs‐reform/

Anschrift:
dgkjf deutsche gesellschaft für kinder‐ und jugendlichenpsychotherapie und familientherapie e. V.

nymphenburger str. 155, 80634 münchen
tel. 089‐20 244 993, fax 089‐139 260 32
e‐mail: info@dgkjf.de
www.dgkjf.de

PDF version